DAS FRENSSENUFER

Der ehemalige Pastor Gustav Frenssen, 1863 im Dithmarscher Dorf Barlt geboren, gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts durch seine erfolgreichen Heimatromane "Jörn Uhl - Vom Aufstieg eines Bauernsohnes" (1902) und "Hilligenlei" (1905) zu den meistgelesenen Autoren des Kaiserreichs.1 1906 veröffentlichte er seinen Jugendroman "Peter Moors Fahrt nach Südwest", der zu einem der erfolgreichsten seiner Zeit avancierte. Dort erzählt Frenssen, der selbst nie in Afrika war, die Geschichte des jungen Marinesoldaten Peter Moor aus Itzehoe, der 1904 am Krieg in Deutsch-Südwestafrika teilnimmt und sich dabei zum "Mann" entwickelt. Schwarze würdigt Frenssen in einer selbst für die Kolonialliteratur außergewöhnlich rassistischen Sprache herab und lässt einen seiner Protagonisten den Mord an einem Gefangenen zum Beispiel wie folgt kommentieren:

"Der kann kein Gewehr mehr gegen uns heben und keine Kinder mehr zeugen, die gegen uns kämpfen; der Streit um Südafrika, ob es den Germanen gehören soll oder den Schwarzen, wird noch hart werden. (...) Diese Schwarzen haben vor Gott und den Menschen den Tod verdient (...). Gott hat uns hier siegen lassen, weil wir die Edleren und Vorwärtsstrebenden sind. Das will aber nicht viel sagen gegenüber diesem schwarzen Volk; sondern wir müssen sorgen, daß wir vor allen Völkern der Erde die Besseren und Wacheren werden."2

Dass Gustav Frenssen mit seinen viel diskutierten Büchern nicht den Literaturnobelpreis bekam, ließ ihn zeitlebens nicht mehr los.3 Den Grund hierfür sah er „in der ‚jüdisch-romantischen’ Unterwanderung des deutschen Geisteslebens.“4 

Im Ersten Weltkrieg tat sich Frenssen als Verkünder von Durchhalteparolen und Propagandist von Feindstereotypen hervor. Obwohl selbst nie Mitglied der NSDAP, begrüßte Frenssen den Nationalsozialismus euphorisch und befürwortete insbesondere die Euthanasie und die Judenverfolgung in seinen Aufsätzen. Auch im Zweiten Weltkrieg forderte er die Bevölkerung zum Weiterkämpfen auf und schrieb noch im April 1945, kurz vor seinem Tod, vom "Endsieg" und dem "heißgeliebten Führer aller Deutschen."5

„Zu Beginn des ‚Dritten Reiches‘ profitierte Frenssen dann von den propagandistischen Interessen der neuen Machthaber und wurde schließlich bis 1945 als ‚alter Kämpfer‘ der [kolonialrevisionistischen] ‚Bewegung‘ installiert. […] Die beiden Hauptwerke in der NS-Zeit – ‚Der Glaube der Nordmark‘ (1936) und ‚Der Weg unseres Volkes‘ (1938) – erfüllten die Erwartungen der nationalsozialistischen Propaganda und Frenssen wurde 1938 von Hitler mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. […] Frenssen galt fortan als ein Religionskünder des ‚nationalsozialistischen Glaubens‘ [und] wurde von der NS-Propaganda hofiert […]“.6 

Doch das Frenssenufer in Hannover erhielt seinen Namen nicht etwa von den Nationalsozialisten, sondern erst 1967 durch einen einstimmig gefassten Beschluss der sozialdemokratisch dominierten Ratsversammlung. Als Begründung führt der entsprechende Antrag an, die in Misburg bereits vorhandenen Benennungen nach norddeutschen Schriftstellern wie Johann Hinrich Fehrs ("Fehrsweg") seien "Veranlassung, des norddeutschen Heimatdichters Gustav Frenssen zu gedenken."7 Der äußere Kontext war die Fertigstellung der Osttangente des Messe-Schnellweges, die etwa ein Drittel des Meersmannufers baulich abteilte. Die notwendige Neubenennung dieses Teils brachte das Frenssenufer hervor. Überlegungen, eine hannoversche Straße nach Gustav Frenssen zu benennen, sind allerdings bereits aus dem Jahr 1928 dokumentiert.8

In einer Stellungnahme des Hannoverschen Stadtarchivs aus dem Jahr 2010, bei dem vor allem Frenssens Antisemitismus beleuchtet wurde, kam der Autor zu dem Schluss, dass es sich bei Gustav Frenssens Werken um präfaschistische Literatur handele.9 Fünf Jahre später berichtete die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" (HAZ) erstmals darüber, dass die Stadtverwaltung plane, dass Frenssenufer umzubenennen.10 Im Herbst 2020 vertagte der Bezirksrat Buchholz-Kleefeld die beantragte Umbenennung allerdings. Zwar forderten die Fraktionen der Grünen und Linken sowie ein Vertreter der Piratenpartei weiterhin die Umbenennung, die Fraktionen der SPD und FDP setzten sich jedoch mit ihrem Antrag durch. Es sollten erst neue Forschungsergebnisse abgewartet werden, so die Argumentation der Ratsmitglieder. Die CDU-Fraktion forderte hingegen, die Straße nicht umzubenennen.11 Der HAZ zufolge sagte ein CDU-Abgeordneter:

„Nicht die Entfernung von Namen, sondern eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte sei ihm als Lehrer wichtig. ‚Andernfalls dürfte ich im Unterricht auch nicht mehr über Hitler reden.‘“12

Auch in anderen, vor allem norddeutschen Städten sind Straßen nach Gustav Frenssen benannt. In mehreren Städten wurden diese allerdings bereits umbenannt. In Hamburg-Blankenese heißt die ehemalige Frenssenstraße schon seit 1986 Anne-Frank-Straße. Als Grund für die Umbenennung wurde Frenssens unheilvolles Wirken während der NS-Zeit angegeben.13 Umbenennungen folgten auch in Bad Oldesloe, Brunsbüttel, Heide und Kiel-Pries.14

von Felix Schürmann

Dieser Text entstand in den Jahren 2003/2004. Im Zuge der Neugestaltung der Webseite wurde er 2021/2022 von von Malin Kleuker und Jana Otto überarbeitet und aktualisiert. In diesem Text wird im Gegensatz zu anderen Artikeln der Webseite bei Bezugnahme auf historische Zusammenhänge nicht mit dem Binnen-Doppelpunkt gegendert.


1 Süselbeck, Jan; Schmidt, Arno; Frenssen, Gustav (2001): "Arsetillery + Säcksualität". Arno Schmidts Auseinandersetzung mit Gustav Frenssen. Bielefeld: Aisthesis-Verl.
2 Frenssen, Gustav (1906): Peter Moors Fahrt nach Südwest. Ein Feldzugsbericht. Sechsundneunzigstes Tausend. Berlin: G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung (Grote'sche Sammlung von Werken zeitgenössischer Schriftsteller, Bd. 89), S. 199.
3 Vgl. Fehlberg, Frank (2012): Protestantismus und Nationaler Sozialismus. Liberale Theologie und politisches Denken um Friedrich Naumann. Zugl.: Chemnitz, Techn. Univ., Diss., 2011. Bonn: Dietz (Politik- und Gesellschaftsgeschichte, 93), S. 107.
4 Fehlberg, Frank (2012): 107.
5 Scholz, Kai Uwe (taz) (1997): Röntgen für die Aufklärung. Ein interessanter Sammelband setzt sich mit dem fast vergessenen Bestseller-Autor Gustav Frenssen auseinander. In: taz Hamburg lokal, 06.03.1997, S. 23.
6 Fehlberg, Frank (2012), S. 110.
7 Vgl. die im Stadtvermessungsamt geführte Drucksache zum Frenssenufer.
8 Vgl. ebd.
9 Vgl. Kreter, Karljosef (2010): Stellungnahme Frenssenufer. Hg. v. Stadtarchiv Hannover.
10 Menkens, Gunnar (HAZ) (2015): Frenssenufer soll umbenannt werden. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 12.10.2015.
11 Stief, Gabi (HAZ) (2020): Streit um Umbenennung des Frenssenufers: Straße behält Namen eines Nationalsozialisten. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 20.10.2020.
12 Ebd.
13 Schmoock, Matthias (2020): Erinnerungen an den gruseligen Gustav Frenssen. In: Hamburger Abendblatt, 13.03.2020.
14 www.travestreifzug.de/Personen/Gustav-Frenssen.
 


Quellen und Links

Printquellen:

Fehlberg, Frank (2012): Protestantismus und Nationaler Sozialismus. Liberale Theologie und politisches Denken um Friedrich Naumann. Zugl.: Chemnitz, Techn. Univ., Diss., 2011. Bonn: Dietz (Politik- und Gesellschaftsgeschichte, 93).

Frenssen, Gustav (1906): Peter Moors Fahrt nach Südwest. Ein Feldzugsbericht. Sechsundneunzigstes Tausend. Berlin: G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung (Grote'sche Sammlung von Werken zeitgenössischer Schriftsteller, Bd. 89).

Kreter, Karljosef (2010): Stellungnahme Frenssenufer. Hg. v. Stadtarchiv Hannover.

Menkens, Gunnar (HAZ) (2015): Frensenufer soll umbenannt werden. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 12.10.2015. Online verfügbar unter www.haz.de/Hannover/Aus-der Stadt/Uebersicht/Frenssenstrasse-in-Gross-Buchholz-soll-umbenannt-werden, zuletzt geprüft am 08.01.2021.

Schmoock, Matthias (2020): Erinnerungen an den gruseligen Gustav Frenssen. In: Hamburger Abendblatt, 13.03.2020. Online verfügbar unter www.abendblatt.de/hamburg/elbvororte/article228686357/Erinnerungen-an-den-gruseligen-Gustav-Frenssen.html, zuletzt geprüft am 08.01.2021.

Scholz, Kai Uwe (taz) (1997): Röntgen für die Aufklärung. Ein interessanter Sammelband setzt sich mit dem fast vergessenen Bestseller-Autor Gustav Frenssen auseinander. In: taz Hamburg lokal, 06.03.1997, S. 23.

Stief, Gabi (HAZ) (2020): Streit um Umbenennung des Frenssenufers: Straße behält Namen eines Nationalsozialisten. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 20.10.2020. Online verfügbar unter www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Hannover-Bezirksrat-lehnt-Umbennung-des-Frenssenufers-ab, zuletzt geprüft am 08.01.2021.

Süselbeck, Jan; Schmidt, Arno; Frenssen, Gustav (2001): "Arsetillery + Säcksualität". Arno Schmidts Auseinandersetzung mit Gustav Frenssen. Bielefeld: Aisthesis-Verl.

Zimmermann, Helmut (1992): Die Straßennamen der Landeshauptstadt Hannover. Hannover: Hahn.

 

Links:

https://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Frenssenstrasse-in-Gross-Buchholz-soll-umbenannt-werden 

https://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Hannover-Bezirksrat-lehnt-Umbennung-des-Frenssenufers-ab

http://radioflora.de/das-frenssenufer-in-hannover-ein-relikt-kolonialistischen-rassenduenkels/#:~:text=Folgerichtig%20war%20Frenssen%20dann%20auch,heute%20ist%20das%20nicht%20passiert.

http://www.travestreifzug.de/Personen/Gustav-Frenssen.