RUDOLF VON BENNIGSEN

Rudolf von Bennigsen junior entstammte einer alten niedersächsischen Adelsfamilie und wurde 1856 auf dem Rittergut der Familie in Bennigsen bei Springe geboren. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen, Berlin und Straßburg und einer kurzen Zeit beim Militär schlug von Bennigsen eine Beamtenkarriere ein.

Nach verschiedenen administrativen Aufgaben im Deutschen Reich bewarb er sich 1893 auf eine Stelle als Finanzdirektor im damaligen Deutsch-Ostafrika. Schon sein Vater, Rudolf von Bennigsen sen., nach dem auch die Straße am Ostufer des Maschsees benannt ist, war im Vorstand des „Deutschen Kolonialvereins“ aktiv gewesen, so dass von Bennigsen jr. sicherlich auf Kontakte seines Vaters zurückgreifen konnte.1

Über von Bennigsens Zeit in Deutsch-Ostafrika, wo er zwischenzeitlich auch als stellvertretender Gouverneur für den Zivilbereich fungierte, ist nicht sonderlich viel bekannt.2 Gesichert ist jedoch, dass seine Position mit viel Macht ausgestattet war. Als leitender Beamter erließ von Bennigsen jr. mehrere Verordnungen, welche die Entwicklung der Kolonialverwaltung stabilisieren und damit die deutsche Herrschaft in den besetzten Gebieten stärken sollten. So ging eine Verordnung von 1896, die es erlaubte, afrikanische Arbeiter:innen bei arbeitsrechtlichen Verletzungen oder Vertragsbrüchen mit bis zu 25 Stockhieben zu bestrafen, auf von Bennigsen jr. zurück. Diese Anzahl an Hieben war eigentlich als Obergrenze gedacht, wurde allerdings in der Praxis recht schnell als Norm angesehen.3

Im November 1897 war von Bennigsen jr. darüber hinaus Mitinitiator einer fiskalischen Verordnung, die sich auf die weitere Geschichte der Kolonie negativ auswirken sollte. Die so genannte Haus- und Hüttensteuer gilt in der Forschungsliteratur als einer der Auslöser des Maji-Maji-Krieges.4 Die Haussteuer mussten europäische, indische und arabische Einwohner:innen nur für Steingebäude entrichten. Afrikaner:innen mussten der Kolonialverwaltung hingegen auch eine Hüttensteuer zahlen, in städtischen Ortschaften betrug diese sechs bis 12 Rupien, in ländlichen Gebieten drei Rupien. Anstelle von Geldzahlungen konnten auch Naturalienabgaben (zum Beispiel Ölfrüchte oder Getreide) und Arbeitsdienste (Straßenbau) geleistet werden. Bei Nichtzahlung oder Verweigerung war die Anwendung von Gewalt durch diese Verordnung legitimiert. Frauen und Kinder konnten zur Begleichung der Steuerschulden ebenfalls herangezogen werden.

Die Kolonialverwaltung setzte die Hüttensteuer in erster Linie als „pädagogische“ Maßnahme ein. Das System der regelmäßigen Steuerpflicht sollte zur Anerkennung der deutschen Herrschaft führen. Außerdem wollten die Kolonialherren mit ihr die Afrikaner:innen zu einem „arbeitsamen Menschenschlag“ erziehen. Erst in zweiter Linie galt die Hüttensteuer den Kolonialbeamten als Mittel zur Erhöhung des wirtschaftlichen Nutzens der Kolonie.5 

Die sozialen Auswirkungen der Hüttensteuer auf die lokale Bevölkerung waren in manchen Regionen der Kolonie katastrophal. Durch den Abgabezwang mussten sich Afrikaner:innen zuzüglich zur Lebenssicherung häufig als Lohnarbeiter:innen auf Plantagen verdingen. Dies hatte wiederum Auswirkungen auf die Gesellschaftsstruktur (Wanderarbeit, instabile Familiensysteme durch Mobilität der Arbeiter:innen), Nahrungsmittelversorgung und auf die Gesundheit (Tuberkulose, Wurmkrankheit und Syphilis), was zu einer Dezimierung der lokalen Bevölkerung führte. 

„Die Besteuerung der Hütten wirkte sich in sozialer Hinsicht destruktiv aus. Sie führte zu Verminderung des Hüttenbaus, gelegentlich zur Flucht ins britische Nachbargebiet und auf jeden Fall zu einer Mehrbelastung der Frauen, die durch die zusätzliche Feldarbeit für die Steuerzahlung aufkommen mußten.“6  

Im Jahr 1899 verließ von Bennigsen jr. Deutsch-Ostafrika. Ob die großen Umstrukturierungen, die  in der Kolonialverwaltung zu dieser Zeit erfolgten oder ein besseres Berufsangebot in einer anderen Kolonie Grund für seine Abreise war, ist nicht bekannt.7

Noch im gleichen Jahr trat er jedenfalls den Posten des Gouverneurs in der jungen Kolonie Deutsch-Neuguinea an. Da dieses Gebiet aus vielen verschiedenen Inseln und Organisationsstrukturen bestand, erwies sich die Etablierung der deutschen Herrschaft als äußerst schwierig und komplex.8 Bennigsen jr. regierte mit ähnlicher Härte, wie er es auch in Deutsch-Ostafrika getan hatte. Er führte auch hier eine Hüttensteuer ein und setzte die Ansprüche des Reichs mit „Strafexpeditionen“ durch, an deren Durchführung er sich auch selbst beteiligte.9 

Als die privat finanzierte „Mencke-Forschungs-Expedition“ (benannt nach und finanziert vom Millionärserben Bruno Mencke) scheiterte, weil nach einem Überfall auf die Expedition der Sekretär Ludwig Caro ums Leben gekommen und schließlich auch Bruno Mencke selbst sowie zwei Polizeisoldaten den Verletzungen erlegen waren, befahl von Bennigsen jr. eine „Strafexpedition“ gegen die Inselbewohner:innen. Im Sommer 1901 verübten Angehörige der Polizeitruppen ein Massaker, bei dem 81 Menschen zu Tode kamen, darunter auch viele Frauen und Kinder.10 

Da von Bennigsen jr. immer wieder mit den berliner Kolonialbehörden aneinander geriet, die ihm auch die Einführung von Halseisen untersagten,11 reichte er noch 1901 seinen Rücktritt aus, vermutlich vorgeschobenen, gesundheitlichen Gründen ein.12

Durch die Vermittlung von Robert Koch, der von 1899 bis 1900 ebenfalls in Deutsch-Neuguinea weilte, brachte von Bennigsen jr. viele ethnografische Objekte für das Provinzialmuseum in Hannover (das heutige Landesmuseum) mit, aber auch für Sammlungen in Stuttgart und Berlin. Ins damalige Berliner Völkerkundemuseum schickte von Bennigsen jr. beispielsweise einen Schädel von der Admiralitätsinsel Tani.13 Nach seinem Tod trafen weitere 221 Objekte aus der privaten Sammlung von Bennigsens aus Ostafrika und Ozeanien im Provinzialmuseum ein.14 

Wie von Bennigsen jr. an diese Objekte gekommen ist, ist bis heute teilweise unklar. Einige dieser Stücke hatte er beispielsweise gegen Tabak eingetauscht, was auch aus Sicht der anderen Seite ein gewinnbringender Handel gewesen sein könnte.15 Andere Objekte nahm von Bennigsen jr. im Zuge von „Strafexpeditionen“ an sich, bei denen Taten Einzelner zum Vorwand genommen wurden, um ganze Dörfer zu zerstören. Die Inbesitznahme von Objekten jeglicher Art auf „Strafexpeditionen“ ist aus heutiger Sicht mit Sicherheit als Unrecht anzusehen, schien Zeitgenoss:innen allerdings oftmals völlig legitim und rechtens. Wieder andere Objekte erhielt von Bennigsen jr. als Geschenk der lokalen Bevölkerung, sei es als Geste der Gastfreundschaft, oder aber auch als Tribut. Alexis von Poser betont dementsprechend die ausgesprochen diversen Erwerbssituationen: 

„Die Sammlung Rudolf von Bennigsens umfasst also Tauschobjekte, in kriegerischen Handlungen erbeutete Stücke und Geschenke. Am Beispiel einer einzigen Sammlerpersönlichkeit lassen sich so vollkommen unterschiedliche Erwerbspraktiken nachweisen.“16

Wieder zurück im Deutschen Reich war von Bennigsen jr. im Vorstand der „Kolonialgesellschaft für Südwestafrika“ aktiv und unternahm auch mehrere Reisen dorthin.17 Rudolf von Bennigsen jr. starb 1912 und wurde auf dem Familiengut in Bennigsen beigesetzt. 

von Gerald Lieske

Dieser Text entstand in den Jahren 2003/2004. Im Zuge der Neugestaltung der Webseite wurde er 2021/2022 von von Malin Kleuker und Jana Otto überarbeitet und aktualisiert.



1Vgl. Poser, Alexis von (2016): Machthaber und Sammler. Der deutsche Kolonialbeamte Rudolf von Bennigsen. In: Reformation in Europa. Die Saat des neuen Glaubens. Leinfelden-Echterdingen: Konradin Medien GmbH (Damals, 48. Jahrgang, 12 (2016)), S. 80.
2 Vgl. Künkler, Eva: Wissenstransfer in einem kolonialen Netzwerk. Der Kolonialbeamte, Forscher und Sammler Rudolf von Bennigsen, Masterarbeit, Hannover: Leibniz Universität Hannover, 2016, S. 79.
3 Vgl. Koponen, Juhani (1995): Development for exploitation. German colonial policies in Mainland Tanzania, 1884 - 1914. 2. korr. Aufl. (Studia historica), Helsinki/Hamburg: Lit-Verlag, S. 364-366.
4 Vgl. Tetzlaff, Rainer (1970): Koloniale Entwicklung und Ausbeutung. Wirtschafts- u. Sozialgeschichte Deutsch-Ostafrikas 1885 - 1914. Diss., FU Berlin. Berlin: Duncker u. Humblot (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 17, S. 211; Iliffe, John (1969): Tanganyika under German rule 1905-1912. Cambridge, London: Cambridge University Press, S. 21-22.
5 Vgl. Tetzlaff 1970, S. 49f.
6 Ebd., S .50.
7 Vgl. Poser 2016, S.80.
8 Vgl. ebd.
9 Vgl. ebd.
10 Vgl.  https://de.wikipedia.org/wiki/Mencke-Expedition; Richard Parkinson, Kenneth John Dennison, John Peter White (2000): Thirty years in the South Seas: Land and People, Customs and Traditions in the Bismarck Archipelago and on the German Solomon Islands. University of Hawaii Press, S.139f. 
11 Vgl. Hiery 2001, S. 17.
12 Vgl. ebd., S. 17 und 301.
13 Vgl. Künkler, Eva (2016): Wissenstransfer in einem kolonialen Netzwerk. Der Kolonialbeamte, Forscher und Sammler Rudolf von Bennigsen. Unveröffentlichte Masterarbeit. Leibniz Universität Hannover, S. 55.
14 Vgl. Poser 2016, S. 81.
15 Vgl. ebd., S. 84.
16 Ebd.
17 Vgl. Künkler, S. 22.
 


Quellen und Links

Printquellen:

Grimme, Gesa (2018): Provenienzforschung im Projekt „Schwieriges Erbe: Zum Umgang mit kolonialzeitlichen Objekten in ethnologischen Museen. Abschlussbericht.

Hiery, Hermann Joseph (Hg.) (2002): Die deutsche Südsee 1884 - 1914. Ein Handbuch. 2., durchges. u. verb. Aufl. Paderborn: Schöningh. Online verfügbar unter hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=3659.

Iliffe, John (1969): Tanganyika under German rule 1905-1912. Cambridge, London: Cambridge University Press.

Koponen, Juhani (1995): Development for exploitation. German colonial policies in Mainland Tanzania, 1884 - 1914. 2. korr. Aufl. (Studia historica) Helsinki/ Hamburg: Lit Verlag.

Künkler, Eva (2016): Wissenstransfer in einem kolonialen Netzwerk. Der Kolonialbeamte, Forscher und Sammler Rudolf von Bennigsen. Unveröffentlichte Masterarbeit. Leibniz Universität Hannover. 

Parkinson, Richard (2000): Thirty years in the South Seas. Honolulu: University of Hawaii Press.

Poser, Alexis von (2016): Machthaber und Sammler. Der deutsche Kolonialbeamte Rudolf von Bennigsen. In: Reformation in Europa. Die Saat des neuen Glaubens. Leinfelden-Echterdingen: Konradin Medien GmbH (Damals, 48. Jahrgang, 12,2016), S. 80-84.

Tetzlaff, Rainer (1970): Koloniale Entwicklung und Ausbeutung. Wirtschafts- u. Sozialgeschichte Deutsch-Ostafrikas 1885 - 1914. Diss., FU Berlin. Berlin: Duncker u. Humblot (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 17).

Zimmermann, Helmut (1992): Die Straßennamen der Landeshauptstadt Hannover. Hannover: Hahn.

 

Internetquellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Mencke-Expedition

https://www.boxeraufstand.com/1900/dezember_1900.htm