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CfA: "Über den westlichen Tellerrand hinaus – Marginalisiertes und ignoriertes Politisches Denken in Forschung und Lehre" Workshop in Rostock am 20./21. Juli 2023

CfA: "Über den westlichen Tellerrand hinaus – Marginalisiertes und ignoriertes Politisches Denken in Forschung und Lehre" Workshop in Rostock am 20./21. Juli 2023

Zeiten der Unsicherheit sind seit jeher Phasen der Hochkonjunktur für das politische Denken. Gesellschaftliche, ökonomische und kulturelle Krisen fordern die eigene Reflexion heraus und bringen Alternativen ins Spiel. Während sich Problemstellungen global entfalten, bleiben Lösungsansätze jedoch allzu oft auf das uns bekannte Denken beschränkt. Dies gilt beispielhaft für die Auseinandersetzung mit einer Geschichte des politischen Denkens in Deutschland (Reese-Schäfer 2019). Nach wie vor kreisen Forschung und universitäre Curricula hier um einen besonderen Autorenkreis: Weiße Männer aus Westeuropa und den USA – Frauen kommen selten vor, Autor:innen jenseits des „Westens“ so gut wie gar nicht. Die Gründe für eine solche Selbstbeschränkung sind vielfältig. Sie beziehen sich auf Kanon, Methode und/oder Qualität der eigenen Wissensbestände und führen zu teilweise gut nachvollziehbaren Argumenten (Höffe 2016; Llanque 2012), teilweise aber auch zu problematischen Vorbehalten gegenüber der Vollwertigkeit „nicht-westlichen“ politischen Denkens. In jüngerer Vergangenheit sorgte in Deutschland vor allem die Rezeption methodenpluralistischer Ansätze (Busen/Weiß 2013; Weber/Beckstein 2018) für Innovationen. International hat sich dagegen mit dem Programm eines Comparative Political Thought (CPT) ein Korrektiv gebildet, welches der Universalisierung westlichen Denkens sowohl dekonstruierend als auch komplementierend entgegentritt. Ziel ist die Aufhebung des Unterschieds zwischen idealisiertem Zentrum und marginalisierter Peripherie (Freeden 2021; Ostrowski 2022).


Innerhalb der internationalen Forschung haben sich Methoden und Erkenntnisinteressen bereits breit ausdifferenziert. Sie verfolgen etwa im Rahmen normativ-analytischer, historisch-kontextueller, interpretativer sowie kritischer Ansätze vielfältige Möglichkeiten, um eine Erweiterung bzw. eine Transformation des Repertoires zu erreichen (Ackerly/Bajpai 2017). Widmete sich hierzulande die mittlerweile aufgelöste DVPW-Themengruppe "Transkulturell vergleichende Politische Theorie" vor allem der Ergänzung des Kanons hinsichtlich zeitgenössischer politischer Theorien (de la Rosa et al. 2016), fand ein Vergleich der Geschichte(n) politischen Denkens bisher nur wenig Berücksichtigung.
Dies spiegelt sich nicht zuletzt auch im Curriculum der deutschen Universitätslandschaft wider, wo Lehrbände fast durchweg ihre geographische Verortung innerhalb einer westlichen „Geschichte des Politischen Denkens“ unterschlagen. Nur wenige Ausnahmen blicken hier gegenwärtig über den eigenen Tellerrand hinaus (Salzborn 2018), weshalb nach wie vor die Notwendigkeit der Globalisierung eines Kanons bzw. des Austausches unter den Kanones besteht (Ivison 2020; Jenco et al. 2020). Und wenngleich ein Dialog seit langem eingefordert wird, bleiben Forschung und Lehre nicht-westlichen Denkens in die jeweiligen Area Studies ausgelagert.


Ziel des Workshops ist es daher, das Programm der CPT stärker in die DACH-Region zu holen und damit die problematische Selbstbeschränkung bei der Bearbeitung übergeordneter Fragestellungen und gemeinsamer Quellen zu überwinden. Durch den Vergleich der Geschichte(n) politischen Denkens will der Workshop neue Forschungsdebatten entwickeln, alternative Wege für die Lösung gemeinsamer Probleme aufzeigen und Inspirationen für die universitäre Lehre nicht-westlichen Denkens geben.


Als Kick-Off-Veranstaltung zur Gründung eines Netzwerkes zu „Vergleichendem Politischen Denken“ ist der Workshop in zwei Teile untergliedert. Zunächst wollen wir in Form von Keynotes zu ausgewählten Areas Expertise bezüglich nicht-westlicher Traditionen in der Geschichte des politischen Denkens (Disziplinen, Autor:innen, ideologische Kontexte, Begriffe etc.) einholen. Anschließend finden zwei Workshops statt, die sich mit dem Stand in Forschung und Lehre beschäftigen. Dort wollen wir bereits vorhandene Ergebnisse und Erfahrungen diskutieren und die akutesten Baustellen
lokalisieren, um am Ende zukünftige Aktivitäten (Tagungen, Publikationen, Vernetzung, Anträge etc.) in den Blick nehmen zu können.

Ein solches Unterfangen kann nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung zum Erfolg führen. Hierfür bitten wir in einem Call for Abstracts (300–500 Wörter) Interessierte aus allen Areas um Beitragsvorschläge, Erfahrungsberichte, Denkanstöße, Diskussionsbeiträge und Ideen zu den Themen der beiden Workshops oder den übergeordneten Fragestellungen.

  1. Vergleichende politische Theorie in der Forschung
    Welche Denker:innen sollten in die Kanones eingehen? Mit welchen Methoden können wir uns außereuropäischem Denken annähern? Wie werden Übersetzungen und Sprachkenntnisse in die Arbeitsweise eingepflegt?
     
  2. . Vergleichende politische Theorie in der Lehre
    Welche außereuropäischen Kanones sollen in Zukunft in der Lehre Berücksichtigung finden und welche Denker:innen sind hierfür relevant? Wie behandelt man außereuropäisches politisches Denken in der Lehre? Wie viel Kontextwissen ist für die Studierenden notwendig?
     
  3.  Übergeordnete Fragestellungen
    Was sind aktuell die drängendsten Baustellen – beispielsweise das Fehlen deutschsprachiger Lehrbücher? Brauchen wir einen globalen Kanon oder sollte der Fokus auf Austausch und Sprachfähigkeit liegen?

Der Call richtet sich an alle Wissenschaftler:innen und Studierende, die an der Bearbeitung dieser Fragestellungen partizipieren wollen. Die Beiträge sollen im Anschluss an den Workshop publiziert werden. Abstracts können bis 26.03.2023 an valerian.thielicke@uni-rostock.de und dennis.rudolf@uni-rostock.de gesendet werden.


Literatur:
Ackerly, B and Bajpai, R (2017) Comparative Political Thought, in: Blau, A (ed.) Methods in Analytical Political
Busen, Andreas und Weiß, Alexander (2013): Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens. In: Dieselben (Hrsg.): Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens. Baden-Baden: Nomos, 15-40.
De la Rosa, Sybille; Schuber, Sophia und Zapf, Holger (Hrsg.) (2016). Transkulturelle Politische Theorie. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer
Freeden, Michael (2021): Comparative Political Thought: What Are We Looking At? Comparative Political Theory 1(1), 3-7.
Höffe, Otfried (2014). Geschichte des politischen Denkens. Zwölf Portraits und acht Miniaturen. München: Beck.
Ostrowski, Marius S. (2022): Ideology studies and comparative political thought. Journal of Political Ideologies 27(1), 1-10.
Ivison, Duncan (2020): Why Globalize the Curriculum? In: Melissa S. Williams (Hrsg.): Deparochializing Political Theory. Cambridge: Cambridge University Press, 273-290.
Jenco, Leigh K., Idris, Murad und Thomas, Megan C. (2020): Comparison, Connectivity, and Disconnection. In: Dieselben (Hrsg.): The Oxford Handbook of Comparative Political Theory. Oxford: Oxford University Press: 1-21.
Llanque, Marcus (2012): Geschichte der politischen Ideen. München: Beck
Reese-Schäfer (2019): Ideengeschichte als Provokation. Schriften zum politischen Denken. Stuttgart: Metzler.
Salzborn, Samuel (2018): Handbuch Politische Ideengeschichte: Zugänge – Methoden – Strömungen. Stuttgart: Metzler.
Weber, Ralph und Beckstein, Martin (2021): Modeling Interpretation and the Practice of Political Theory. New York: Routledge.