DIE SAMMLER:INNEN-NETZWERKE DES LANDESMUSEUMS

Netzwerke waren ein zentraler Bestandteil der zunehmenden Globalisierungsprozesse im Kolonialismus. Sie dienten dem Austausch von Wissen und der Weitergabe von Kompetenzen, die im Wettstreit der Imperialmächte von Bedeutung waren. Der Kreis der Akteur:innen bestand unter anderem aus Kolonialbeamten, (Amateur-)Wissenschaftler:innen, Händler:innen, aber auch lokalen nicht-europäischen Mittelsleuten (intermediaries) auf der ganzen Welt. Diese Netzwerke erhielten materielle, gesellschaftliche und politische Unterstützung von den zahlreichen Kolonialgesellschaften. Wie groß das Interesse war, lässt sich an der Vielzahl von Neugründungen solcher kolonial geprägter Bildungsvereine und Wissenschaftsgesellschaften erkennen.1 

Neben dem Wissenstransfer erfolgte in den Sammler:innen-Netzwerken ein reger Austausch von Objekten. Die vor Ort gesammelten Kultur- und Alltagsgegenstände sowie Naturobjekte fanden auf diese Weise ihren Weg in deutsche Museen, Auktionshäuser oder Privatsammlungen. Dabei beschränkten die Akteur:innen sich nicht nur auf die Zeit des Deutschen Reiches als Kolonialmacht. Das heißt, auch vor und nach der Existenz der deutschen Kolonien waren Sammler:innen aktiv und akquirierten Museen ihre Sammlungen. Die Sammler:innen handelten dabei nicht immer nur aus eigenem Antrieb. Vielfach vergaben Museen auch gezielte Aufträge. Dass die ausführenden Personen sich die gewünschten Objekte teilweise gewaltsam aneigneten, lässt es heute umso wichtiger erscheinen, die Einbindung der hiesigen Museen in solche Netzwerke zu rekonstruieren und legitime von illegitimen Aneignungsprozessen zu unterscheiden, wobei die grundsätzliche Asymmetrie kolonialer Herrschaftsstrukturen stets als Voraussetzung mitgedacht werden muss.2 

Seit dem 21. Februar 1889 regelte ein Bundesratsbeschluss, dass alle Objekte, welche bei Expeditionen in deutschen „Schutzgebieten“ gesammelt wurden, die durch Reichsmittel finanziert worden waren, zunächst an das damalige Berliner Museum für Völkerkunde abzugeben seien. Daran waren ab 1891 auch die Beamten in den Kolonien und ab 1896 die vor Ort stationierten „Schutztruppen“ gebunden. Von Berlin aus wurden dann sogenannte „Dubletten“ zunächst an außerpreußische und zuletzt an preußische Museen, zu denen auch das Provinzialmuseum Hannover gehörte, verteilt. Aufgrund dieses Monopols ergab sich für die Museen die Notwendigkeit, eigene Sammlungsstrategien zu entwickeln, Netzwerke aufzubauen und auf Verbindungen zu regionalen und überregionalen Eliten aus Öffentlichkeit, Staatswesen und Wirtschaft zu setzen. Jacobus Reimers (Direktor des Provinzialmuseums von 1890-1910) baute daher Kontakte zu ethnologischen Museen und Ethnolog:innen im Deutschen Reich auf. Er ließ sich von ihnen hinsichtlich einer Sammlungsstrategie mit Fokus auf die deutschen Kolonien und zur Stärkung des kolonialen Gedankens in Hannover beraten. Um den Bundesratsbeschluss zu umgehen, nahm er auch Kontakt zu Rudolf von Bennigsen jr. auf, in der Hoffnung auf den Erwerb von Sammelobjekten für das Hannoversche Museum.3 Von Bennigsen jr. war Finanzdirektor in Deutsch-Ostafrika, später Gouverneur von Deutsch-Neuguinea und Vorstandsmitglied der Deutschen Kolonialgesellschaft für Südwestafrika und verfügte, neben einer eigenen Sammlung von Ethnografika, über ein großes Netzwerk. Einige Gegenstände seiner Sammlung, von der zwischen 1902 und 1920 218 Objekte in das Provinzialmuseum Hannover gelangten, wurden nachweislich auf von ihm angeordneten „Strafexpeditionen“ geraubt.4 

Bitten des Provinzialmuseums um Zuwendung gingen an „Kolonial- und Verwaltungsbeamte, Kaufleute, Militärbeamte […] sowie Ärzte.“5  Wegen ihrer lokalpatriotischen Einstellung und ihrem Geltungsdrang bedurften viele dieser Aufforderung allerdings gar nicht. Sie nahmen bereits aus eigenem Antrieb Kontakt zum Museum auf. Zu ihnen gehörte der Millionenerbe und selbsternannte Ethnologe Bruno Mencke, der im Jahr 1900 dem Museum mehrere hundert Objekte überließ.6 Andere Ethnografika wurden von Familienangehörigen und/oder Erb:innen an das Museum übergeben. So hat etwa Dr. Lina Kolbe, Mutter des Kapitäns und Polizeichefs der Deutsch-Neuguinea Kompagnie Paul Kolbe, 1910 Teile der Sammlung ihrer Schwiegertochter, der samoanischen Unternehmerin „Queen“ Emma Forsayth Coe, dem Museum geschenkt.7 

Die Etablierung von Netzwerken ging demzufolge sowohl vom Museum als auch von einzelnen Personen aus. Dies zahlte sich insofern aus, als zu Beginn der deutschen Kolonialzeit, in der damals noch „völkerkundlich“ genannten Sammlung des Museums ca. 1.500 Objekte bewahrt wurden und die Sammlung allein in den Jahren der deutschen Kolonialherrschaft zwischen 1884 und 1919 einen sprunghaften Anstieg um etwa 5.000 Neuzugänge verzeichnete.8 Dennoch dauerte es noch bis in die 1950er Jahre, bis eine eigenständige ethnologische Abteilung entstand. Bis dahin wurde die Sammlung von der archäologischen Abteilung mitverwaltet.9 Heute umfasst sie ca. 24.000 Objekte.

Das Thema der Vernetzung und auch der Einbindung des Provinzialmuseums Hannover in solche Netzwerke ist längst nicht erschöpfend untersucht. In der jüngeren Vergangenheit waren die Ausstellungen „Tabu?! Verborgene Kräfte – Geheimes Wissen“ (2012) und „Heikles Erbe – Koloniale Spuren bis in die Gegenwart“ (2016/2017) sowie die dazugehörigen Forschungsprojekte wichtige Schritte in Richtung einer Aufarbeitung. Gleiches gilt für die ständige Entwicklung der Abteilung für Provenienzforschung. Aktuell wird am Niedersächsischen Landesmuseum, zusammen mit internationalen Partner:innen, im Rahmen des Projektes „Provenienzforschung in außereuropäischen Sammlungen und der Ethnologie in Niedersachsen“ (PAESE) unter anderem zu diesem Thema geforscht.10

von Tillman Hennies


1 Vgl. Künkler, Eva: Wissenstransfer in einem kolonialen Netzwerk. Der Kolonialbeamte, Forscher und Sammler Rudolf von Bennigsen, Masterarbeit, Hannover: Leibniz Universität Hannover, 2016, S. 79f.
2 Vgl. Baumann, Bianca: Vom Gebrauchsgegenstand zur Projektionsfläche. Das koloniale Sammeln und seine Folgen am Beispiel der Kamerun-Sammlung des Landesmuseums; in: dies./ Poser, Alexis von (Hg.): Heikles Erbe. Koloniale Spuren bis in die Gegenwart, Dresden 2016, S. 204.
3 Vgl. Steffen-Schrade, Jutta: Die Geschichte der Ethnographischen Sammlung im Landesmuseum Hannover, in: Krüger, Gundolf; Menter, Ulrich; Steffen-Schrade, Jutta (Hg.): TABU?! Verborgene Kräfte - Geheimes Wissen. Tabu?! Verborgene Kräfte – Geheimes Wissen, Hannover 2012, S. 116f.
4 Vgl. Poser, Alexis von: Sammlerbiographie Rudolf von Bennigsen, in: Baumann, B., Poser, A. von (Hg.): Heikles Erbe. Koloniale Spuren bis in die Gegenwart, Dresden 2016, S. 40.
5 Steffen-Schrade, Jutta: Die Geschichte der Ethnographischen Sammlung im Landesmuseum Hannover, S. 117.
6 Vgl. Poser, Alexis von: Sammlerbiographie Bruno Mencke, in: Baumann, B./ Poser, A. von (Hg.): Heikles Erbe. Koloniale Spuren bis in die Gegenwart, Dresden 2016, S. 69.
7 Vgl. Poser, Alexis von: Sammlerbiographie Emma Forsayth-Coe, in: Baumann, B./Poser, A. von (Hg.): Heikles Erbe. Koloniale Spuren bis in die Gegenwart, Dresden 2016, S. 41.
8 Vgl. Andratschke, Claudia: Provenienzforschung in ethnografischen Sammlungen, in: Baumann, B./ Poser, A. von (Hg.): Heikles Erbe. Koloniale Spuren bis in die Gegenwart, Dresden 2016, S. 307.
9 Vgl. Steffen-Schrade, Jutta: Die Geschichte der Ethnographischen Sammlung im Landesmuseum Hannover, S. 118.
10 Vgl. PAESE-Projekt. URL: https://www.postcolonial-provenance-research.com/ [abgerufen am 06.03.2022].


Quellen und Links

Printquellen:

Andratschke, Claudia: Provenienzforschung in ethnografischen Sammlungen, in: Baumann, B., Poser, A. von (Hg.): Heikles Erbe. Koloniale Spuren bis in die Gegenwart, Dresden 2016.

Baumann, Bianca: Vom Gebrauchsgegenstand zur Projektionsfläche. Das koloniale Sammeln und seine Folgen am Beispiel der Kamerun-Sammlung des Landesmuseums; in: Baumann, Bianca u. Poser, A. von. (Hg.): Heikles Erbe. Koloniale Spuren bis in die Gegenwart, Dresden 2016.

Habermas, Rebekka: Intermediaries, Kaufleute, Missionare, Forscher und Diakonissen. Akteure und Akteurinnen im Wissenstransfer. Einführung, in: dies./Przyrembel, Alexandra (Hg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne; Göttingen 2013.

Künkler, Eva: Wissenstransfer in einem kolonialen Netzwerk. Der Kolonialbeamte, Forscher und Sammler Rudolf von Bennigsen, unveröffentlichte Masterarbeit, Hannover: Leibniz Universität Hannover, 2016.

Poser, Alexis von: Sammlerbiographie Bruno Mencke, in: Baumann, B., Poser, A. von (Hg.): Heikles Erbe. Koloniale Spuren bis in die Gegenwart, Dresden 2016.

Poser, Alexis von: Sammlerbiographie Emma Forsayth-Coe, in: Baumann, B., Poser, A. von (Hg.): Heikles Erbe. Koloniale Spuren bis in die Gegenwart, Dresden 2016.

Poser, Alexis von: Sammlerbiographie Rudolf von Bennigsen, in: Baumann, B., Poser, A. von (Hg.): Heikles Erbe. Koloniale Spuren bis in die Gegenwart, Dresden 2016.

Steffen-Schrade, Jutta: Die Geschichte der Ethnographischen Sammlung im Landesmuseum Hannover, in: Krüger, Gundolf; Menter, Ulrich; Steffen-Schrade, Jutta (Hg.): TABU?! Verborgene Kräfte - Geheimes Wissen. Tabu?! Verborgene Kräfte – Geheimes Wissen, Hannover 2012.